Kap. 9: Schwesterliebe

In einer kleinen Wohnung am Rande von Port Royal stand Marcia am Herd. Während sie im Topf mit der kochenden Suppe rührte, summte sie eine Melodie, die wie eine Mischung aus Kinder- und Seemannslied klang. Hinter ihr öffnete sich knarrend die Tür und ihre kleine Schwester Bernice betrat mit einer hölzernen Puppe im Arm die Küche. ,,Setz dich, Schätzchen‘‘, sagte Marcia und sah das Mädchen hinter ihr über ihre Schulter hinweg an, ,,das Essen ist gleich fertig.‘‘ Mit einem fröhlichen Lachen schwang sich die Kleine auf einen Stuhl. ,,Ist Jake immer noch nicht zurück?‘‘ ,,Nein, bis jetzt habe ich noch nichts von ihm gehört. Aber ich bin sicher, dass er bald wieder da ist.‘‘ Bernice drückte ihre Puppe an sich und fragte ihre große Schwester: ,,Du magst ihn wirklich ganz doll, oder?‘‘ ,,J-ja. Jake… Er ist… Ich… Aber weißt du, ich denke, dafür bist du noch etwas zu jung.‘‘ ,,Gar nicht! Ich bin immerhin schon sieben Jahre alt!‘‘, rief das Kind empört. ,,Ja, aber… Ach, lassen wir das. Jetzt wird erstmal gegessen.‘‘ ,,Genau!‘‘, rief Marcias kleine Schwester und schnappte sich den vor ihr liegenden Löffel. Beim Essen sagte Bernice, als sie gerade an einem Stück Brot kaute: ,,Ich finde, Jake ist dieses Mal ein bisschen, wie heißt das, überstürzt aufgebrochen. Sonst kommt er immer schon ein paar Tage vorher Tschüss sagen.‘‘ ,,Nicht mit vollem Mund sprechen!‘‘, sagte Marcia streng. Dann schob sie hinterher: ,,Aber ja, du hast recht. Ein bisschen merkwürdig ist es schon. Ich hoffe, er hat keinen Ärger oder Schlimmeres.‘‘ ,,Er schafft das schon! Er ist doch ein Pirat!‘‘ Marcia legte ihr Besteck beiseite und sah verträumt zur Decke hinauf. ,,Oh ja, das ist er. Hach, Jake, mein Held… Ich liebe dich… Komm schnell wieder… Für mich…‘‘ ,,Für mich auch!‘‘, rief Bernice begeistert, ,,Ich bin schon gespannt, was er dann alles erzählt!‘‘ ,,Bestimmt eine Menge.‘‘, meinte Marcia und sah ihre kleine Schwester liebevoll an, ,,Und jetzt iss erst mal auf, mein Schatz.‘‘ ,,Aye, aye, Captain! Schiff klar zum Gefecht!‘‘, kicherte die Kleine, während sie ihren Löffel in die Suppe tauchte. Nach dem Essen saß Marcia im Wohnzimmer, Bernice war auf ihren Schoß geklettert. ,,Du, Marcia, glaubst du, es hat was mit eurem Treffen von neulich zu tun?‘‘ ,,Was hat mit unserem Treffen zu tun?‘‘ ,,Na, dass Jake so plötzlich losgesegelt ist.‘‘ ,,Verstehe ich nicht. Wieso…. Aaah, jetzt fällt‘s mir wieder ein. Ich bat ihn, mir die Sonne vom Himmel zu holen!‘‘ ,,Hihihi‘‘, kicherte Bernice, während sie ihre Arme um ihre große Schwester schlang, ,,die Sonne kann man doch nicht vom Himmel holen. Die ist doch viel zu weit weg. Oder kann die ,Sirene‘ etwa auch fliegen?‘‘ ,,Nein, natürlich nicht, Liebes. Ich hab‘s nur gesagt, um die romantische Stimmung aufrechtzuerhalten. Wer hätte gedacht, dass er es gleich so ernst nimmt… Na ja, und als er es mir versprach, habe ich mich wohl etwas mitreißen lassen…‘‘ ,,Weißt du was, Marcia? Ich glaube, Jake löst das Problem irgendwie. Er schenkt dir halt nicht die echte Sonne, sondern was Ähnliches.‘‘ ,,Zuzutrauen wäre es ihm. Danke, dass du mir mein schlechtes Gewissen genommen hast.‘‘, sagte Marcia und küsste ihre kleine Schwester auf die Wange.