Die Kapitänskajüte der ,,Sirene‘‘ war im Gegensatz zu anderen nicht so übermäßig rustikal eingerichtet. Ein Bett aus stabilem Holz, mit schlichtem Bettzeug aus wärmenden Stoffen stand an der Wand, daneben ein Schrank, in dem Captain Jake Blue seine Kleidung aufbewahrte. Direkt daneben hingen, schön an in die Planken geschlagenen Nägeln nebeneinander, seine Hüte. Weiter vorne im Raum standen ein Tisch und ein paar Stühle. Oftmals saß er hier mit Briggs, um mit ihm Karten zu spielen oder Rum zu trinken. Dazu gab es manchmal Kuchen, den Marcia gebacken und ihrem Liebsten mitgegeben hatte. An der anderen Wand standen zwei Regale. Die Bretter des einen bogen sich fast unter dem Gewicht der vielen Bücher über Seefahrt, Piraterie und Schiffe, die es beherbergte. Im Regal daneben war eine ansehnliche Sammlung von Buddel- und Modellschiffen. Jakes Favorit in seiner Sammlung war übrigens das Modell der ,,Queen Anne‘s Revenge‘‘, dem Schiff des berühmten Piraten Edward ,,Blackbeard‘‘ Teach, unter dessen Kommando einst auch sein Onkel zur See fuhr. Aber die ,,Golden Hind‘‘, ehemals ,,Pelikan‘‘, das Schiff des englischen Freibeuters Sir Francis Drake, war auch ein Prunkstück. So viel zu Jake Blues Steckenpferd. Unter dem großen Heckfenster der ,,Sirene‘‘ stand der große Schreibtisch des Kapitäns. Hier war das Geheimfach, in welchem Briggs die Karte versteckt hatte. Und eben dieses Geheimfach öffnete Captain Blue nun, indem er seinen Finger in einen Metallring unter der Tischplatte steckte. Diesen Ring musste er nur noch leicht in seine Richtung ziehen, damit das Geheimfach sich klackend öffnete und die Karte offenbarte. Zufrieden entnahm der Piratenkapitän die wertvolle Papierrolle, schloss das Geheimfach, indem er den Ring wieder in die vormalige Position zurückschob, und machte sich wieder auf den Weg zur Brücke. Dort erwartete ihn bereits Briggs. ,,Na, wie weit ist‘s noch bis zur Sonneninsel?‘‘ Der Captain entrollte die Karte, sah drauf, warf dann einen Blick auf den Kompass, auf die Sonnenuhr und durch den Sextanten und meinte dann: ,,Etwa eine Tagesreise noch.‘‘ ,,Seid ihr auch aufgeregt? Stellt euch das doch nur mal vor: Womöglich sind wir die Ersten, die einen Fuß auf sie setzen.‘‘ ,,Mr. Briggs. Erstens: Wir unternehmen diese Reise nicht, um Cristoforo Colombo oder Juan Ponce de León nachzueifern. Zweitens: Was, wenn schon jemand vor uns da war? Ich hoffe, das Juwel ist noch an seinem Platz.‘‘ ,,Nun bleibt mal ruhig, Captain! Serafina hat mir mal erzählt, jede ihrer Karten sei ein Unikat. Und ohne die Karte soll es, das weiß ich auch von Serafina, fast unmöglich sein, die Insel zu finden. Wenn das stimmt, brauchen wir uns mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Sorgen zu machen.‘‘ Jake Blue atmete tief durch und meinte dann: ,,Ein Glück. Trotzdem dürfen wir nicht zu optimistisch werden. Chevalier d’Rouge und seine Mannen sind schließlich auch noch da.‘‘ Aus dem Krähennest erschallte just der Ruf: ,,Da ziehen dunkle Wolken auf! Das sieht nach Gewitter aus! Was sollen wir tun, Captain?‘‘ ,,Segel reffen und beide Anker runter, wir warten ab, bis es vorbei ist.‘‘ Als wenig später der Regen aufs Deck prasselte, hatte sich die Mannschaft unter Deck verkrochen. Hier war es trocken, da die Piraten erst vor wenigen Wochen kalfatert, also die Abstände zwischen den einzelnen Planken abgedichtet hatten. Briggs und Captain Blue dagegen saßen wie so oft in der Kapitänskajüte am Tisch. ,,Sagt mal, Captain‘‘, begann Briggs, ,,wie stellt Ihr Euch das eigentlich vor, wenn wir das Sonnenjuwel gefunden haben? Wollt Ihr Marcia den ganzen Klunker schenken, oder wollt Ihr ein Stück raushacken und in eine Kette oder einen Ring einarbeiten lassen?‘‘ ,,Kommt auf die Größe des Juwels an. Aber‘‘, Jake beugte sich vor, ,,selbst wenn ich tatsächlich nur ein Stück raushacke, nehmen wir den restlichen Stein auch noch mit. Wir machen schließlich keine halben Sachen.‘‘ ,,Aye, das klingt mal wieder schön piratig! So machen wir’s.‘‘ Der Captain schüttete Rum in die beiden Krüge, von denen jeweils einer vor ihm und Briggs stand, dann setzte er sich, und streckte seinen Krug Briggs entgegen. ,,Hoch die Tassen, alter Freund!‘‘ Lachend prostete der Erste Maat der ,,Sirene‘‘ dem Captain zu, während draußen ein Regentropfen nach dem anderen aufs Deck fiel.